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Über Licht und Glück

Landschaftsfotografie mit Christian Kraus

 

Es ist dunkel. Kalt. Der eisige Wind weht mir ins Gesicht. Ich nehme meinen Fotorucksack aus dem Kofferraum und sperre das Auto zu. Ich habe noch eine kurze Wanderung vor mir, bevor ich am Spot ankomme. Der kleine Lichtkegel meiner Stirnlampe tanzt vor mir her. Ich folge dem engen Pfad bergauf Richtung Aussichtspunkt. Der Himmel ist sternenklar und der Wald erhebt sich schwarz und still zu beiden Seiten meines Weges. Zwischen den Bäumen kann ich langsam die ersten Anzeichen des nahenden Sonnenaufgangs erahnen. Ich habe keine Ahnung, ob sich die Tour heute Früh lohnen wird oder nicht, doch ich stapfe frohen Mutes weiter durch den dunklen finnischen Wald…


Das ist immer das Problem bei Sonnenaufgängen: Man steht in aller Herrgottsfrühe auf, fährt eine Weile und muss womöglich auch noch ein gutes Stück durch die Dunkelheit wandern, bis man am Ziel angekommen ist. Eine einzige Wolke am Horizont kann einem einen Strich durch die Rechnung machen und der ganze Aufwand war umsonst. Es ist jedes Mal ein Glücksspiel. Doch wenn alles zusammenkommt und die Wolken am Himmel in einem feurigen Rot erstrahlen, bevor das schöne goldene Licht der aufgehenden Sonne die Baumwipfel um mich herum küsst, dann bin ich immer wieder aufs Neue dankbar, dass ich die Strapazen auf mich genommen habe. Das ist der Grund, wieso ich mich für Landschaften entschieden habe. Ich liebe es, in der Natur unterwegs zu sein und neue Orte zu sehen. Ein Ort, an dem ich tausenden Male tagsüber vorbeigelaufen bin, kann zum Sonnenauf- oder -untergang ganz anders aussehen, wenn das magische Licht der goldenen Stunde auf die Szenerie fällt. Das sind die Zeiten, zu denen ich am liebsten unterwegs bin; allerdings gibt es dafür keine Regel. An einem nebligen Tag beispielsweise kann es durchaus auch perfekte Bedingungen für ein Bild geben.


Dieses Bild entstand während einer Wanderung im bayerischen Wald. Es ist keinerlei besonderes Licht zu sehen, jedoch macht der Nebel dieses Bild. Er lässt den Wald in die Tiefe verschwinden und vereinfacht das Chaos der vielen Bäume. Auch kommt das frische Grün des Frühlings durch die Verwendung eines Polfilters sehr gut zur Geltung.



Licht ist zwar nicht alles, jedoch ist ohne Licht Alles nichts. Eine gelungene Komposition wird ohne das passende Licht kein gutes Bild ergeben. Ebenso gehört zu einem bemerkenswerten Bild mehr als nur ein Sonnenuntergang. Hier kann man sich ausgiebig mit den Einstellungen an der Kamera, der Komposition, der Brennweite des Objektivs und dem Seitenverhältnis des Bildes befassen. Verwende ich für das Bild einen oder gar mehrere Filter, wenn ja, welche? Möchte ich eine gewisse Bewegung im Bild zeigen, dann empfiehlt sich ein ND-Filter, der die Verschlusszeit verlängert und so Bewegungsunschärfe erzeugt. Wie möchte ich die Schärfentiefe haben? Will ich mein Objekt mithilfe einer großen Blendenöffnung vom Hinter- und Vordergrund abheben, oder soll das Bild von vorn bis hinten scharf sein? Möchte ich die Weite der Landschaft zeigen, indem ich eine kurze Brennweite verwende, oder will ich den Raum mit einem Tele-Objektiv stauchen? Auf all diese Fragen gibt es selbstverständlich keine generelle Antwort, die immer und für jeden Fotografen passt. Erlaubt ist, was einem selbst gefällt. Wie die Drittel-Regel, ist auch der Goldene Schnitt nur ein Vorschlag, den in den Wind zu schießen ab und an auch Sinn macht. Regeln sind da, um gebrochen zu werden und der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.


Bei diesem Bild, das ich erst nach Sonnenuntergang aufgenommen habe, hatte ich Glück, dass sich die Wolken am Horizont noch in diesem orange-lila verfärbt haben. Die Drittel-Regel habe ich hier wissentlich missachtet, jedoch bilden die Holzpfosten eine führende Linie, die den Betrachter in das Bild hinein in den Nebel und so zum Sonnenuntergang führt.



Natürlich bedarf es Planung, bevor ich mich aufmache zum Fotografieren. In welcher Richtung geht die Sonne auf bzw. unter? Gibt es einen Aussichtspunkt oder dergleichen? Wie ist das Wetter vorhergesagt? Auch, wenn man sich darauf nicht immer verlassen kann. Was brauche ich Alles? Welche Objektive nehme ich mit? Wie viel Kleidung nehme ich mit, damit ich nicht friere? Wie lange brauche ich zum Spot? Eine Faustregel, die ich immer befolge, ist: eine gute Stunde vor Sonnnenauf-/-untergang am Spot sein. So habe ich immer ein wenig Zeit mich mit dem Ort vertraut zu machen, eine Komposition zu suchen, mich gegebenenfalls wärmer oder kühler anzuziehen. Manchmal klappt es dann auch mit dem Licht, manchmal nicht. In diesen Fällen bin ich jedes Mal trotzdem froh, rausgekommen zu sein und etwas Bewegung bekommen zu haben. Auch das Auge für eine Komposition wird durch Übung besser, und man findet plötzlich überall in seiner Umgebung Motive, wenn man mit offenen Augen durch die Welt läuft.


Bei diesem Bild eines dänischen Leuchtturms konnte ich keine führende Linie finden, die mich kompositionstechnisch zufriedengestellt hätte. Jedoch bilden die Steine im Vordergrund eine leicht diagonale Linie, die am Bildrand von der Küste aufgenommen wird. Diese führt den Betrachter dann zum Leuchtturm und schließlich zum Sonnenuntergang. Auch habe ich hier von der Drittel-Regel Gebrauch gemacht, denn sowohl die Sonne, der Leuchtturm, der Horizont als auch die Steine im Vordergrund liegen jeweils ca. auf einer dieser Linien.



Landschaftsfotografie hat für mich etwas Beruhigendes, auch wenn ich am Spot angekommen jedes Mal sofort aufgeregt anfange nach Kompositionen zu suchen. Ich muss mich stets selber bremsen und den Ort auf mich wirken lassen. Was macht den Ort oder die Gegend aus? Wie kann ich das in meinem Bild einfangen? Erst danach beginne ich herumzulaufen und nach führenden Linien oder interessanten Formen Ausschau zu halten. Manchmal habe ich schon ein gewisses Bild im Kopf, jedoch lohnt es sich immer nach einer Alternative zu suchen. Womöglich findet man etwas Besseres, das vorher vielleicht noch niemandem aufgefallen ist. Sobald die Komposition gefunden ist, stelle ich mein Stativ auf und bereite alles so weit wie möglich vor. Beispielsweise fokussiere ich bereits jetzt und stelle mir die oben genannten Fragen hinsichtlich Blende, Belichtungszeit und Filter. Danach kommt der entspannte Teil: Warten auf das Licht, der Natur lauschen und der Welt beim Aufwachen oder Einschlafen zusehen.


Nach einer guten Stunde auf dem Aussichtspunkt geht die Sonne als glühender Feuerball am Horizont auf und taucht alles um mich herum in goldenes Licht. Die Vögel erwachen und fangen an zu zwitschern. Mein Bild ist im Kasten und ich genieße die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Das frühe Aufstehen hat sich definitiv gelohnt. Heute wird ein guter Tag…





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